Coburger Tageblatt vom 4. Juni 2014
BEETHOVEN IN ALLER MACHT
Beim Sinfoniekonzert im Kongresshaus riss der kurzfristig eingesprungene Pianist Gerold Huber das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin.
VON GERHARD DEUTSCHMANN
Weil im Kongresshaus ein Konzertflügel vorhanden ist, der für „Heroisches“ wie Beethovens 5. Klavierkonzert tauglich ist, fand das 6. Sinfoniekonzert des Landestheaters dort in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft der Musikfreunde statt. Häufig mit ihm im Gespann – wie auch hier – ist die ebenfalls in Es-Dur stehende Sinfonie Nr. 3, die Eroica.
Beinahe hätte das Konzert nicht in dieser Form stattfinden können,war doch der ursprünglich vorgesehene Pianist Alexej Gorlatsch kurzfristig erkrankt, sodass zwei Tage vor dem Konzert ein neuer Solist gesucht werden musste. Zum Glück erklärte sich der international renommierte Pianist Gerold Huber – er war in Coburg schon als Liedbegleiter des Baritons Christian Gerhaher beim Festival „Lied und Lyrik“ aufgetreten – bereit, den Part in Beethovens Klavierkonzert zu übernehmen.
Blendend und temperamentvoll
Gerold Huber war bestimmt schon mit dem Notentext vertraut, musste aber zur Sicherheit aus den Noten spielen, was seiner phänomenalen Leistung keinen Abstrich tat.Kurz gesagt, er zog sich blendend aus der Affäre, mit sicherer Technik, expressivem Anschlag und temperamentvoller Gestaltung, was ihm minutenlangen, stürmischen Beifall einbrachte.
Das anpassungsvoll begleitende Philharmonische Orchester des Landestheaters wurde von Roland Kluttig (diesmal ohne Taktstock) exakt und differenziert gestaltend geleitet.
Hauptwerk des Abends war nach der Pause die Sinfonia eroica, die – so oft man sie hören mag – immer wieder mit neuen Überraschungen aufwartet. Auffallend an Roland Kluttigs Interpretation war die in allen Sätzen äußerst straffe Temponahme, die aber der Brisanz des Werkes zugute kam.
Sehr gut herausgearbeitet wurden die schroffen Gegensätze im 1. Satz. Auch in dem berühmten Trauermarsch bestach die differenzierte Liebe zum Detail nebst der eindringlichen Verdichtung im polyphonen Teil. Sehr exakt und spritzig kam das Scherzo mit dem gelungenen Horntrio.
Transparenter Klang
Eine weitere Steigerung war das geniale Finale, eine Mischung aus Variations- und Sonatenform, das mitreißend bis zum triumphalen Schluss musiziert wurde. Auch hier starker, anhaltender Beifall.
In Anbetracht des engen Podiums hatte man das Orchester etwas verkleinert, was der Transparenz des Klanges zugute kam.Zudem hatte man auch historische Instrumente wie ventillose Trompeten und alte Kesselpauken eingesetzt, um dem Originalklang nahe zu kommen. Trotz des guten Besuchs und der größeren Kapazität des Kongresshauses gegenüber dem Theater bleibt der bisher unerfüllte Wunsch aller Musikfreunde Coburgs nach einem eigenen Konzertsaal, wie es einst der des Coburger Hofbräu in der Mohrenstraße war. |
Neue Presse vom 4. Juni 2014
VOM REBELL MIT OHRENSAUSEN
Im 6. Sinfoniekonzert widmet sich das Philharmonische Orchester unter GMD Roland Kluttig dem Werk Ludwig van Beethovens. Ein begeistertes Publikum füllt das Kongresshaus.
VON BERND SCHELLHORN
„Heroisches“ war als Motto des Beethoven-Programms gewählt, das vom Landestheater Coburg und der „Gesellschaft der Musikfreunde Coburg e.V. “ gemeinsam „gestemmt“ wurde. Weil im Kongresshaus ein wunderbarer Steinway-C-Flügel steht, hatte man das Konzert für diesen Ort geplant – allerdings ursprünglich mit einem jungen Wunderpianisten, der dann am Wochenende ins Krankenhaus musste. In der Not wandte man sich an den vom Lied&Lyrik-Festival wohlbekannten Pianisten Gerold Huber (der damals Christian Gerhaher begleitete). Dessen kurzfristige Zusage sollte ebenfalls als heroisch gewertet werden, denn das 5. Klavierkonzert Ludwig van Beethovens stellt Solist und Orchester vor enorme Herausforderungen.
Kurzfassung des Anfangs: Es-Dur Orchester-Fanfare in einem Takt, dann intensive Improvisation des Pianisten, gefolgt von einer Art kleinen Sinfonie des Orchesters, am Klavier wird es dabei langweilig – deshalb improvisiert der Solist dazu, dann schmeißt man sich gegenseitig die musikalischen Ideen um die Ohren, weil plötzlich jedem etwas einzufallen scheint, mal dem Holz, jetzt der Pauke, wieder rauscht es aus dem Klavier. Sapperlot!, denkt man sich, welch ein Chaos hätte hier entstehen können, wenn Beethoven all dies nicht peinlich genau notiert hätte.
Erhabener Klang
Weil er dies aber tat, kann unser Generalmusikdirektor Roland Kluttig diesem durchkomponierten konzertanten Rebellenstreich verzauberte Form verleihen, mit den Tempi spielen und feinsinnige Klänge mit „unserem“ Philharmonischen Orchester weben. Das Orchester klingt, spielt und wirkt erhaben. Wieder sind jedem der Musiker die Freude und der Spaß an der orchestralen Interaktion anzumerken – Kluttig sei Dank! Und Gerold Huber, der Mutige, der Heroische, der Zauberer an den Tasten, lockt perlend-schimmernde Glitzerlinien aus dem Flügel in das Kongresshaus, singende Preziosen mit feinstrukturiertem Atem, elegant, nobel, feurig und irgendwie sehr intellektuell klingend: Denn der Liedbegleiter Gerold Huber ist herauszuhören, der den Kantilenen und virtuosen Strecken eine Sprache verleiht, damit sie auf leuchtende Spiel-Art mit dem Orchester in Dialog treten.
Was der Zuhörer im Kongresshaus geboten bekommt, ist eine außergewöhnlich gelungene Interpretation des 5. Beethoven-Klavier-Konzerts. Mehr rebellisch durch die vielen Nuancen als durch plakatives Aufbrausen, eher beredsam-überzeugend als übertönend und voller Intensität (auch durch das „tiefe“ Fingerspiel des Pianisten am Tastengrund) und Liebenswürdigkeit.
Ist es nicht diese Liebenswürdigkeit, die man dem vom Vater zum Cembalo geprügelten, dann glücklich an den Ufern der Musik gestrandeten, vom Adel bezahlten ersten freiberuflichen Komponisten und durch Taubheit zum Leben in der eigenen Innenwelt verbannten Ludwig van Beethoven immer noch verweigert? Muss dieser Mann, einmal Rebell, immer Rebell bleiben?
Wahrscheinlich ja. Denn in der 3. Sinfonie reißt Beethoven die tradierte (und auch für das sinfonische Werk geltende) Sonaten-Form ein und baut nach seinen Gesetzen eine Art Blueprint für kommende Generationen. Mit Trauermarsch. Mit gewagten Ausflügen in ferne Tonart- Gebiete. Mit neuen, nie zuvor gehörten polyphonen Strukturen. Die Musik wirkt wie ein Ausrufezeichen.
Dämonische „Eroica“
Nein, diese „Eroica“ ist nicht liebenswürdig. In der Interpretation des Philharmonischen Orchesters erhält sie etwas Dämonisches und Unbezwingbares. Bei aller Akkuratesse der Intonation wirkt sie dicht und unentrinnbar. Wenn die Fanfaren der Hörner ertönen, ist jeder schon tief im Wald verloren, es gibt kein Entrinnen mehr nach der Doppelfuge. In einer durch die Streicher jagenden Stretta – das Orchester spielt atemberaubend – hetzt sich das Werk zum Ende. Im Kongresshaus bricht sich der Beifall mit Bravos wie eine Befreiung los. So haben wir Beethoven noch nie erlebt.t |