Montag, 17. Mai 2010

Kongresshaus Rosengarten

Podium junger Künstler

Gemeinschaftsprojekt mit dem Kulturbüro der Stadt Coburg

Bennewitz Quartett, Prag

Jiri Nemecek, Violine
Stepan Jezek, Violine
Jiri Pinkas, Viola
Stepan Dolezal, Violoncello

Bedrich Smetana

Streichquartett Nr. 2 d-moll

 

Leos Janácek

Streichquartett Nr. 1 „Kreutzersonate“

 

Johannes Brahms

Streichquartett Nr. 3 B-Dur op. 67

 
 
 

„Ich glaube, dass das Quartett das Beste ist, was mir begegnen konnte. Es ist ein unwahrscheinlich eigenartiges und interessantes Gemisch des individuellen und kollektiven Lebens…Es bedeutet eine ständige Suche nach dem Gleichgewicht zwischen der eigenen Vorstellung und dem Interesse der Gesamtheit.“ So äußert sich der 2. Geiger des Quartetts über seinen Beruf. Seit 1998 setzt das Bennewitz Quartett (benannt nach einem wichtigen tschechischen Geigenpädagogen des 19. Jahrhunderts) diese Maxime mit wachsender Perfektion um: Nach dem 1. Preis beim Internationalen Kammermusikwettbewerb in Osaka (2005), der die Türen zu einer internationalen Karriere öffnete, gewann das Quartett 2008 auch noch den renommierten Premio Paolo Borciani in Reggio Emilia.

www.bennewitzquartet.com

 
 
 

Coburger Tageblatt vom 19. Mai 2010

BLUTVOLL MUSIZIERT, SUBTIL GESTALTET
Das Prager Bennewitz-Quartett gastierte am Montag bei der „Gesellschaft der Musikfreunde“ im Kongresshaus. Auf dem Programm standen Werke von Smetana, Janácek und Brahms.


VON GERHARD DEUTSCHMANN

Vor zwölf Jahren in Prag gegründet, hat sich das nach dem tschechischen Geiger Antonin Bennewitz benannte Quartett mit Jiri Nemecek, Stepán Jezek (Violinen), Jiri Pinkas (Viola) und Stepán Dolezal (Violoncello) spätestens nach dem Gewinn des renommierten Premio Paolo Borciano in Reggio Emilia in die vorderste Reihe der internationalen Künstlergarde gespielt und setzt damit die langjährige Tradition tschechischer Quartette in würdiger Weise fort.

In der Reihe „Podium junger Künstler – international“, einem Gemeinschaftsprojekt der „Musikfreunde“ mit dem Kulturbüro der Stadt Coburg, begeisterte das Ensemble die Zuhörer durch blutvolles, sensibel gestaltendes Musizieren anspruchsvoller Werke ihrer Nationalkomponisten Smetana und Janácek sowie von Johannes Brahms.

Am Anfang stand das 2. Streichquartett d-Moll von Bedrich Smetana, welches im Gegensatz zu seinem ersten („Aus meinem Leben“) seltener zu hören ist. Formal ungewöhnlich, spiegelt es die innere Unruhe seines ertaubten Schöpfers in den letzten Lebensjahren wider und wechselt häufig zwischen Lyrik und Dramatik. Aber auch Unbeschwertes wie die schwungvolle Polka des 2. Satzes oder der temperamentvolle Finalsatz in aufhellendem Dur ist hier zu finden. Die jungen Künstler des Bennewitz-Quartetts musizierten das eigenwillige Werk wie aus einem Guss, quasi auf gleicher Wellenlänge und zeigten neben hoher technischer Überlegenheit temperamentvolle Musikalität, die stets im Dienst subtiler, eindringlicher Gestaltung stand.

Nicht leicht hatten sie es sich auch mit dem folgenden Werk gemacht, dem 1. Streichquartett von Leos Janácek, welches durch die Lektüre von Leo Tolstois Novelle „Die Kreutzersonate“ angeregt wurde. Es ist ein in jeder Beziehung kühn angelegtes Werk mit überraschenden Wendungen, jähen Ausbrüchen und extremen Spielfiguren, die höchstes Können erfordern. Auch hier erlebte man eine packende Wiedergabe und tief schürfende Interpretation des eindringlichen Meisterwerks durch die „Bennewitzer“.

Gipfelwerk romantischer Kammermusik

Ein Gipfelwerk der deutschen romantischen Kammermusik-Literatur ist zweifellos das (letzte) Streichquartett Nr. 3 B-Dur op. 67 von Johannes Brahms, das den zweiten Konzertteil bildete. Temperamentvoll mit geschmeidigen Geigenläufen wurde das Vivace des ersten Satzes angegangen, gemütvoll das folkloristische, tänzerische 2. Thema angestimmt. Expressiv gestalteten die Künstler den zweiten Satz (Andante) mit seinem verklärten Beginn und der allmählichen klanglichen Verdichtung.

Bach-Choral als Zugabe

Im duftigen 3. Satz (Agitato) hatte die Bratsche eine gewichtige Führungsrolle gegenüber den „con sordino“ begleitenden übrigen Instrumenten. Im Schlusssatz kam noch einmal die insgesamt heitere Grundstimmung des Werks in den schwungvoll musizierten acht abwechslungsreichen Variationen eines schlichten Themas samt spritziger Coda zum Tragen.

Die jungen Künstler wurden lebhaft gefeiert und bedankten sich mit einer nach diesem Programm zwar ungewöhnlichen, aber eindringlichen Zugabe in Gestalt des schlicht, ohne Vibrato musizierten Bach-Chorals „Brich an, du schönes Morgenlicht“ aus dem 2. Teil des Weihnachtsoratoriums.

 
 
 

Neue Presse vom 19. Mai 2010

DER SÜSSE ATEM DER MELANCHOLIE IN VIER STIMMEN

VON BERND SCHELLHORN

Was zeichnet ein ausgezeichnetes (Gewinner des „Premio Paolo Borciani“) Streichquartett aus, das aus wahrlich jungen Instrumentalisten besteht? Was macht ihre Interpretation würdig und groß? Wie ist die gemeinsame Charaktereigenschaft dieser Musiker, die sich der Kunstgattung des Streichquartetts verschrieben haben? Jeder kunstsinnige Zuhörer wird sich diese Fragen stellen, wenn er einer Interpretation beiwohnt, die ihn gefangen nimmt und auf wunderbare Weise zutiefst verunsichert. Wie machen die das nur, fragten sich auch die Musikfreunde am Montagabend im Kongresshaus.

Ganz einfach: Das Bennewitz Quartett formt einen sehr weichen und fast fahl ausgefilterten Klang im dynamischen Mezzobereich. Ein feinziseliertes Glas, in dem sich Reflexe brechen und alle Nuancen der musikalischen Farbigkeit erstrahlen. Das Vibrato wird feinst dosiert und dient dem Verschmelzen, nicht dem Hervorheben der Linie. So erst klingt das zweite Streichquartett von Bedrich Smetana in drängendem Schmerz und die so tröstliche Dezime als Abschluss des ersten Satzes erfährt eine fahle Leere. Das mörderische Unisonogewitter im dritten Satz endet in akkordischer Melancholie, wiederholt sich und sucht erneut die Ruhe in der vierstimmigen Gemeinsamkeit, läutert sich in der festen Form des Fugato und verebbt über dem Orgelpunkt des Cello in einem letzten Hauch. Dann ein aufflammendes und kurzes Finale, sehr rhythmisch, sehr zerrissen, sehr traurig bis zum weit gespreizten Schlussakkord, dem die vier Musiker noch lange nachhören. Dadurch zwingen sie auch das Publikum, ihnen gleichzutun: Wie lange können wir den Atem anhalten?

„Leos Janacek wanderte oft mit aufgeschlagenem Heft in der Hand herum und notierte die Äußerungen, die er auf der Straße hörte, in Notenschrift. Hunderte solcher „Intonationen der gesprochenen Sprache“ hinterließ er.“ (Milan Kundera) Seine Kompositionen sind bahnbrechend und viel zu wenig gespielt.

Pure Emotionalität

Das erste Streichquartett „Die Kreuzersonate“ plappert. Das Intervall der Quinte frisst sich in die Ohren und wird ständig verwendet. Ein Wortschwall wird Thema, gespielt vom Cello, verdeutlicht von erster Geige und dann in der zweiten Violine wiederholt. Dazwischen brüchiger Wohlklang oder versuchtes Zurücknehmen bis zum erneuten Ausbruch. Folgend – ob dieser puren Emotionalität – die Suche nach dem Verstand in der Generalpause. Vergebens. Es folgt der nächste Ausbruch. Klänge wie zersplitterndes Glas, die zweite Violine singt wie dünnes Eis, bis sie darin einbricht. Barock angehauchte Elemente im dritten Satz, weinerliche, sich ins Schreien aufbauende Linien, immer wieder die Quinte: so weit, so rein, so bereit zum Aufbruch – aber sie wird immer aufgehalten. Alle Melodik wird zersprengt, erdrosselt, übertönt. Das Finale als Debattieren bis die Luft fehlt, Atemholen als Überlebensakt, dann ein Toben bis die Lunge zerreißt, bis zum Tod. Eine spektakuläre Interpretation. Wohin ging die gemeinsame Melodie? Wie lange können wir die Liebe aushalten?

Nach der Pause zitiert Johannes Brahms im anmutigen Streichquartett op. 67 seine Vorbilder. Im ersten Satz gleich zu Beginn ein bisschen Händel umgarnt von Melodik aus der Zigeunerskala. Später Bach’sche Sequenzen und Sarabandenhaftes im zweiten Satz, wiederum garniert mit Pusztaklängen. Leidenschaftliche Kantilenen von Bratsche und erster Violine über halbverminderte Akkorde (Vivaldi) im dritten und dann im vierten Satz ein Sound wie frische Frühlingsluft im Haydn-like klassizistischen Thema und den folgenden, sehr „zigan“-romantischen Variationen. Die Viola jauchzt in der Altlage ihre Kantilenen, darunter der Puls und die kluge Tonformung des Cello und die seidenen Vorhänge der Violinen, die sich in leichter Brise bewegen und ein wohliges Gefühl verbreiten. Eine leidenschaftliche Dynamik, ein Ineinanderfließen der großen Linien, zarte Vibrati, tiefes Atemschöpfen in den Generalpausen, reife und sangliche Emotion.

Die leider wenigen Zuhörer trauen sich nach diesem zauberhaft musizierten Werk kaum zu atmen, aber dann gibt es dankbaren Beifall für die jungen Künstler, deren Weg international steil nach oben führt.