Blicke mir nicht in die Lieder… Gustav Mahler und der Wiener Jugendstil (2011)

Montag, 21. November 2011, 20:00 Uhr

Kongresshaus Rosengarten

Ein Gemeinschaftsprojekt mit dem Kulturbüro der Stadt Coburg

Hanna Herfurtner, Sopran
Stefan Paul, Klavier

 

Lieder, komponiert ungefähr vor 100 Jahren in Wien.
Werke von Gustav Mahler, Franz Schreker, Karol Szymanowski, Alexander von Zemlinsky, Arnold Schönberg

 
 
 

Manchmal hat man als Zuhörer das Glück, im Konzert musikalische Sternstunden zu erleben. Eine solche Sternstunde war der Auftritt Hanna Herfurtners beim Kammermusikfest Schloß Wonfurt 2010: Sie interpretierte Lieder von Robert Schumann derartig intensiv, dass man den Eindruck hatte, das Gehörte sei gar nicht mehr von dieser Welt. Ihr künstlerischer Weg geht steil nach oben. Nach etlichen Wettbewerbspreisen sang sie bei der RuhrTriennale 2010 die Titelpartie in der Uraufführung von Hans Werner Henzes Oper „Gisela! Oder: Die merk-und denkwürdigen Wege des Glücks.“ Im Sommer 2011 debütiert sie bei den Salzburger Festspielen in einer kleinen Rolle in der „Frau ohne Schatten“ unter Christian Thielemann. Für die Saison steht ein französischer Liederabend im Wiener Konzerthaus und ihr Debüt beim Rheingau Musik Festival mit Hugo Wolffs Italienischem Liederbuch auf dem Terminkalender.

 

Neue Presse vom 23. November 2011

LIEDER ALS LEIDENSCHAFT

Ein Hochgenuss für Coburgs Musikfreunde: Die Sopranistin Hanna Herfurtner und der Pianist Stefan Paul interpretieren spektakulär das hochromantische Liedgut.


VON BERND SCHELLHORN

Es kommen große und erfolgreiche Zeiten für Hanna Herfurtner, das ist nach ihrem Liederabend am Montag im Coburger Kongresshaus sicher. Noch nie vernahm ich das hochromantische Lied kultivierter und durchdachter. Die Natürlichkeit des Soprans der jungen Künstlerin und ihre singende Erzählkunst sind schlichtweg atemberaubend. Ihre überragende Technik unterstellt sie vollkommen der Interpretation: sie ist die Ruh‘, in der dieser Abend lebt.

Ihr klug strukturiertes Programm des späten 19. Jahrhunderts widmet sich den (frühen) Liedern der großen Klangforscher, die an die Grenzen der üblichen Harmonielehre gingen, diese aber noch nicht überschritten (Arnold Schönberg, Alexander von Zemlinsky, Karol Szymanowski und Franz Schreker). Die vertonte Lyrik feiert sich in der Entdeckung der Liebe und nutzt gern und oft die naturalistische Metapher, es gibt Heiteres (Mahlers „Frühlingsmorgen“ witzelt als Morgenständchen für den Langschläfer) und Beklemmendes zu erfahren (Schönbergs „Erwartung“ erzählt die Ur-Angst der Frau vor dem dunklen Wald). Hanna Herfurtner gelingt das Kunststück, jeden Text zu erzählen und gleichzeitig die (einkomponierte) Stimmung über den Gesang zu transportieren. Sie vermeidet jegliche Körperlichkeit und bleibt vollkommen ruhig.

Ihre Schultern und die Arme sind bis in die Fingerspitzen entspannt. Der Körper der Sopranistin ist locker aufgerichtet und so bestens vorbereitet für bewusste Atmung. „Nachschnappen“ wird zum Kunstkniff (im „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ seufzt sie vor dem Wort „abhanden“ ein), über die dunklen Vokale „O‘ und „U‘ zaubert sie in den hohen Lagen ein vibrierendes Leuchten und sie verströmt sich in den dynamischen Schattierungen des Piano, was den Explosiv- und Zischlauten eine nobel-frivole Zurückhaltung mit Zugkraft verleiht. Jedes Wort kommt prononciert und auf den Punkt intoniert, das Vibrato bleibt Kunstform und wird nur zugunsten der lyrischen Komponente (als Couleur) genutzt. Hanna Herfurtner ordnet sich (und ihre vollkommene Stimme) der Komposition unter.

Dadurch entsteht die Reinform des Kunstliedes in einer überirdischen Transparenz und beunruhigenden Klarheit, die das Wesen des Textes (und eben nicht nur dessen Aussage) als komponiertes Gefühl (und nicht nur als musikalische Form) erfahren lässt. Maßgeblichen Anteil an dieser Eindringlichkeit hat (Hanna Herfurtners Begleiter) Stefan Paul am Flügel, der im reinen Fingerspiel feinsinnigen Klang aus den Tasten lockt, die Akkorde nuanciert über das Handgelenk überträgt und (auch bei den drei Solo-Stücken) ohne pianistischen Körpereinsatz den distinguierten Charakter der Begleitstimmen in Würde, Erhabenheit und tiefer Ruhe aufleben lässt. Scheinbare Nebensächlichkeit offenbart er als sinniges melodisches Gedankengut, das emotional wieder zum Kern und zum Wesen des Kunst-Liedes zurückführt. Ausschließlich geht es hier (im hochromantischen Lied) doch um folgende Frage: Wenn man vor Gefühlen sprachlos ist, wie findet man dann zum ersten Satz? Hanna Herfurtner und Stefan Paul geben die Antwort in einem spektakulären Liederabend. Es gibt andächtigen Applaus des verzauberten Publikums.

 
 
 

Coburger Tageblatt  vom 23. November 2011

ICH BIN DER WELT ABHANDEN GEKOMMEN 

In der Reihe „Podium junger Künstler“ beeindruckte die Sopranistin Hanna Herfurtner  bei den Coburger „Musikfreunden“.

VON GERHARD DEUTSCHMANN

Die Konzertreihe „Podium junger Künstler“ – ein Gemeinschaftsprojekt der Musikfreunde mit dem Kulturbüro der Stadt Coburg – war schon immer für die Entdeckung neuer Talente gut.  Am Montag stellte  sich die  Sopranistin Hanna Herfurtner mit ihrem einfühlsamen Klavierbegleiter Stefan Paul als begabte Liedgestalterin von hohen Graden vor.
Das höchst anspruchsvolle Programm unter dem Motto „Gustav Mahler und der Wiener Jugendstil“ enthielt neben Mahler Werke von Schreker, Szymanowski, Zemlinsky und Schönberg, die eine ausdrucksvolle, reife Wiedergabe erfuhren und mit reichem Beifall bedacht wurden.

Lebendige Gestaltung

Hanna Herfurtner besitzt eine ideale Stimme für den Liedgesang. Sie hat ein ausgeglichenes, unaufdringliches Tremolo, eine ausgesprochen geschmeidige Singweise, die auch in der Höhe nicht hart wirkt und kann lebendig wie ausdrucksvoll gestalten. Bewundernswert war ihr vorzügliches Gedächtnis, welches ihr gestattete, das ganze Programm – darunter sogar zwei Lieder in polnischer Sprache – auswendig vorzutragen. Stets einfühlsamer Mitgestalter am Flügel war Stefan Paul, der sich als sensibler Anschlagskünstler erwies, technisch souverän und trotz geöffneten Flügels nie sich in den Vordergrund drängend.

Frühlingsmorgen

In Wien wurden an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert die Weichen für eine neue Musikästhetik gestellt. Durch immer stärkere Chromatisierung wurden die Grenzen der Tonalität erreicht und  schließlich überschritten. Ein schönes Beispiel hierfür war gleich das erste Lied „Wurzeln und Halme sind dies nur“ von Franz Schreker, hochchromatisch und expressiv mit beinahe überladenem Klavierpart, eindrucksvoll von beiden Künstlern interpretiert.
Melodisch inspirierter und harmonisch durchsichtiger die Mahler-Lieder „Frühlingsmorgen“,  zwei „Don Juan“-Lieder und „Erinnerung“. Zum Kreis der Wiener Expressionisten kann man auch den Polen Karol Szymanowski zählen, der von 1910 bis 1914 in dieser Stadt lebte und dort wichtige Anregungen erfuhr.
In zwei schwermütigen Liedern konnte Hanna Herfurtner mächtige Stimmentfaltung und Stefan Paul orchestrale Dichte am Flügel demonstrieren. Wieder Grenzgebiete der Tonalität erlebte man in dem Schreker-Lied „Ein Kind sagte: Was ist Gras?“.
Drei Fantasien über Gedichte von Richard Dehmel op. 9 für Klavier solo von Alexander von Zemlinsky standen nach der Pause auf dem Programm. Sie wurden von Stefan Paul stimmungsvoll und poetisch, aber auch mit großen Steigerungen wie bei „Waldseligkeit“ aus den Tasten gezaubert.

Krönender Abschluss

Zwei Lieder Zemlinskys, teilweise mit exponierter Höhe, sang Hanna Herfurtner beeindruckend. Was für ein talentierter Komponist der junge Arnold Schönberg war, bezeugten die drei noch tonalen Lieder aus Opus 2 mit ihren schönen Lyrismen, bevor fünf hinlänglich bekannte und häufig zu hörende Rückert-Lieder von Gustav Mahler in subtiler, verinnerlichter, ja teilweise ergreifender Weise den krönenden Abschluss und Höhepunkt des interessanten und künstlerisch hochwertigen Liederabends bildeten.
Nach reichem Beifall erklang als Zugabe nochmals der „Frühlingsmorgen“ von Mahler.