Coburger Tageblatt vom 10. Februar 2010
HOCHKARÄTIG IM DUO, TRIO UND QUARTETT Das Trio Contraste und das Trio Quodlibet Berlin vereinigten sich in Werken unterschiedlicher Besetzung bei den Musikfreunden im Kongresshaus. Das Programm führte von Mendelssohn über Schnittke bis zu Brahms.
VON GERHARD DEUTSCHMANN
Stilistisch und in der Besetzung vielseitig gab sich das jüngste Konzert der Musikfreunde. Zu Gast waren Mitglieder des Trios Contraste sowie des Trios Quodlibet Berlin mit Rainer Johannes Kimstedt (Violine), Regine Pfleiderer (Viola), Katharina Maechler (Violoncello) und Rolf-Dieter Arens (Klavier). Souverän steigerten sie sich vom Duo einer Violinsonate von Mendelssohn über das Streichtrio von Schnittke bis zu einem Klavierquartett von Brahms. Das „Professoren-Quartett“ – die Streicher lehren an der Berliner, der Pianist an der Weimarer Musikhochschule – wurde mit viel Beifall bedacht.
Welch erstaunliche kompositorische Reife der erst vierzehnjährige Felix Mendelssohn schon hatte, zeigt sich in der Sonate f-Moll op. 4 für Pianoforte und Violine, welche das Konzert eröffnete. Kunstvolle polyphone Verarbeitung und formale Sicherheit im durch ein Violonsolo-Rezitativ eingeleiteten Kopfsatz, ausdrucksvolle Kantabilität im As-Dur-Adagio und leichtfüßiger, eleganter Duktus im musikantischen Finale lassen das künftige Genie erahnen. Mit überlegener Finger- und Bogentechnik, dynamisch flexibel und einfühlsam sorgte Rainer Johannes Kimstedt für eine abgerundete Wiedergabe des jugendfrischen Werkes, am Flügel mit hoher Anschlagskultur von Rolf-Dieter Arens unterstützt.
Traditionelle Klänge und Spielmuster werden immer wieder von dissonanten Passagen mit Tonverfremdungen überlagert, durchsichtige Klangstrukturen wechseln mit dichten, beinahe orchestralen Klangballungen ab. Dies sind nur einige Merkmale der unter dem Begriff „Polystilistik“ zusammengefassten Kompositionstechnik des deutsch-russischen Tonschöpfers Alfred Schnittke. Sein anspruchsvolles Streichtrio in zwei Sätzen aus dem Jahr 1985 wurde 1987 von so bekannten Künstlern wie Gidon Kremer, Tabea Zimmermann und Heinrich Schiff aus der Taufe gehoben.
Mit Ernst, Fleiß und Können
Rainer Johannes Kimstedt, Regine Pfleiderer und Katharina Maechler boten hier eine ausgefeilte, eindrucksvolle Wiedergabe von großer Dichte und klanglicher Vielfalt, die zeigte, mit welchem Ernst, Fleiß und Können sich die Interpreten mit dem komplexen Werk auseinander gesetzt hatten.
Nach der Pause bekam neben den Streichern auch der Pianist wieder alle Hände voll zu tun mit dem bekannt vollgriffigen Klaviersatz von Johannes Brahms, speziell in dessen Klavierquartett Nr. 3 c-Moll op. 60, einem düsteren, von Wehmut und Weltschmerz geprägten Werk, an dem er vom 22. Lebensjahr an nicht weniger als weitere zwanzig Jahre arbeitete. Mit kraftvollem Zugriff, aber stets angepasster Dynamik bewältigte Rolf-Dieter Arens den heiklen Klavierpart.
Mit schwärmerischen Soli und abgerundetem Zusammenspiel beeindruckten abermals Rainer Johannes Kimstedt, Regine Pfleiderer und Katharina Maechler. Die lebhaft gefeierten Künstler bedankten sich mit einer passenden Zugabe, die wieder zum Anfang des Programms zurückführte. Sie boten das frische Scherzo aus dem Klavierquartett f-Moll op. 2 des jugendlichen Felix Mendelssohn beschwingt dar. |
Neue Presse vom 10. Februar 2010
SCHWERELOSE WATTEBÄUSCHCHEN Fein gewebte Teppiche, auf denen Klangperlen tanzen: Das Trio Quodlibet plus begeisterte bei den Coburger Musikfreunden.
VON BERND SCHELLHORN
Da haben sich zwei gefunden, könnte man sagen. Sie passen perfekt zusammen, ein Traumpaar. Keiner vorlaut, beide sehr empfindsam und äußerst aufgeschlossen für die Anregungen des Partners. Keiner tonangebend, dominierend. Immer leise Intimität, Wohlklang und leuchtende Transparenz. Violine und Klavier sind wunderbare Partner in Felix Mendelssohn Bartholdys Sonate f-Moll. Es ist das Werk eines jugendlichen Genies und entbehrt nicht der großen Vorbilder Mozart und Beethoven, die beide in der Sonate ein Wörtchen mitreden. Rolf-Dieter Arens pustet Wattebäuschchen aus dem Flügel und die Violine von Rainer Johannes Kimstedt hält sie in der Schwebe, taumelnd, flirrend, leuchtend wiegen sie in der Luft und wollen endlos schwerelos weiterfliegen, von Satz zu Satz. Die Sonate ist weicher Wohlklang, leuchtende Struktur, makellose Sonatensatzform. Die Kommunikation der beiden Interpreten ist vollendet, schlanke Einsätze der Violine gehen über in schmelzende Vibratokantilenen. Der Flügel atmet große Linien im fließenden Parlando, feingewebte Teppiche, auf denen Klangperlen tanzen.
Gefühlte Schwere
Alfred Schnittkes Streichtrio für Violine, Viola und Violoncello ist ein großes aussichtsloses Leiden. Es ist Passion, ein Klagelied mit melodischen Einstreuungen aus der Balkan-Sinti- und Roma-Zigeunermusik, des Klezmer und des Hindemith’schen Tonsatzes und seiner Akkordlehre. Es ist gefühlte Schwere, das Dunkel des stalinistisch-russischen Großreiches, der Blick in die Aussichtslosigkeit. Halbtonlinien fallen in den Cluster, wiederholen sich, finden kurz den eingefärbten Durakkord, zerbrechen an dessen Schönheit und ergeben sich in die Rhythmik eines verzweifelten kurzen Veitstanzes. Dann Innehalten, Klangskulpturen wie gefrorenes klares Eis (im Pianissimo am Steg gespielt) oder die pastorale Melodie in einem irrealen Flageolett, erst auf dem Cello (Katharina Maechler), dann auf der Bratsche (Regine Pfleiderer), darunter Bruchstücke des Leidensmotivs. Nie die Erlösung, nur ein kurzer Anschein davon; ein Suchen des Haltes, verzweifelt und ohne Aussicht. Ein wundersames Klagen, kein unnützes Jammern. Das Scheitern als Lebensaussicht, kein Ziel sonst in Sichtweite: Gehen wir also los ohne Licht in das Dunkel, unsere Sinne werden uns schon behilflich sein. Eine Faszination, eine Tonsprache des Unerträglichen, Unerhörten, Unsagbaren. Ein Klanggemälde. Ein Hilfeschrei, dem ein kalter Wind die Silben aus den Wörtern schneidet.
Leidensbekenntnis
Dann ein zweites Leidensbekenntnis: Johannes Brahms‘ Quartett c-Moll, an dem er 20 Jahre komponierte und litt. Das ist zu hören: Es hat zwar die reife kompositorische Anlage des alten Fuchses, aber dem ist das Eros und die Vitalität verlorengegangen. Er hat es einfach zu lange versucht bei Clara Schumann. Wegen eines Eisblockes ist zwar die Titanic untergegangen, aber noch kein sinnlich-reifes Meisterwerk entstanden. Und wer der Leidende in diesem Prozess ist, dem vergeht mit der Zeit das Gefühl für diese und obendrein Hören und Sehen. Bis auf die wunderbar gelungene Pizzikatostelle in Cello und Bratsche, die von einer überirdisch leichten Motivik am Klavier überstrahlt wird, wirkt das Werk auf mich trotz seiner wunderbaren Themen (die sich im letzten Satz alle vereinen) unausgewogen, auch im Klang, in dem sich die Charakteristika der Instrumente oft überdecken. Es ist spröde Romantik, Wortschwall ohne Essenz, Schwere und Verblendung.
20 vertane Jahre, da kann man so schön wiedergeben, wie man es als „Trio Contraste“ stilgerecht und technisch versiert macht: Es bleibt was es ist. Vielleicht hätte der alte Fuchs Brahms es einfach mal mit einem überraschenden Kuss versuchen sollen. So wie es Mozart des Öfteren tat.
Mit der wunderbaren Welt der Schwerelosigkeit in Form einer Zugabe des jungen Genies Mendelssohn bedankten sich die versierten Musiker für den anhaltenden Applaus eines gewogenen Publikums. |