Bach pur (2009)

Montag, 30. November 2009

Kongresshaus Rosengarten

Bach pur

Martin Stadtfeld, Klavier

Johann Sebastian Bach

Das Wohltemperierte Klavier I BWV 846-869

 
 
 

6 Jahre ist es her, dass die internationale Karriere von Martin Stadtfeld mit der Veröffentlichung der CD-Einspielung von Bachs Goldberg Variationen ihren Aufsehen erregenden Beginn nahm. Wenige Tage vor der CD-Veröffentlichung spielte er erstmals bei den Musikfreunden im Kongresshaus Rosengarten, damals noch im „Podium junger Künstler“. Es folgte der viel umjubelte Auftritt beim „Piano Spezial in der HUK“ im Mai 2006. Nun interpretiert er erneut ein Schlüsselwerk Johann Sebastian Bachs, das erste Heft der 24 Präludien und Fugen, das Wohltemperierte Klavier oder das „Alte Testament des Klavierspiels“, wie das Werk voller Hochachtung auch betitelt wird. Natürlich hat er das Werk für Sony classical auch auf CD eingespielt. Neben seiner Konzerttätigkeit engagiert sich Martin Stadtfeld auch dafür, Schülern aus Problemschulen durch Konzerte und Gespräche an ihren Schulen den Zugang zur klassischen Musik zu ermöglichen.

www.martinstadtfeld.de

 
 
 

Coburger Tageblatt vom 2. Dezember 2009

TÖNENDE ARCHITEKTUR EINDRUCKSVOLL GESTALTET
Martin Stadtfeld gastierte am Montag bei der „Gesellschaft der Musikfreunde“ im Coburger Kongresshaus. Unter dem Motto „Bach pur“ interpretierte er den ersten Teil der Sammlung „Das Wohltemperierte Klavier“.

VON GERHARD DEUTSCHMANN

„Nicht Bach, Meer sollte er heißen“ – wegen seiner unerschöpflichen Erfindungsgabe – formulierte einst Beethoven. Dies trifft natürlich auch auf die 24 Präludien und Fugen des „Wohltemperierten Klaviers“ zu, die Hans von Bülow auch „Das Alte Testament des Klavierspiels“ nannte, denen er das „Neue Testament“ der 32 Beethoven-Sonaten gegenüber stellte.

Viele berühmte Pianisten von Kempff bis Gould haben sich der immensen Aufgabe gestellt, das anspruchsvolle Riesenwerk an einem Abend geschlossen zu Gehör zu bringen. Von der jungen Generation der Tastenmeister scheint Martin Stadtfeld der einzige zu sein, der das Wagnis eingeht – mit großem Erfolg, wie man es beim jüngsten Konzert der „Musikfreunde“ am Montag im Coburger Kongresshaus erleben konnte, wo der junge Pianist eine durchaus eigenständige, technisch einwandfreie Interpretation des tönenden Kosmos vorstellte, die vom zahlreichen Publikum mit frenetischem Beifall bedacht wurde.

1722 stellte Bach den ersten Teil seiner 24 Präludien und Fugen durch alle Tonarten vor, denen er 1744 einen zweiten Teil folgen ließ. In diesen Sammlungen drückte er musikalisch quasi seine Freude darüber aus, durch die 1691 von dem Organisten Andreas Werckmeister aus Halberstadt erstmals theoretisch vorgestellte „Temperierte Stimmung“ in sämtlichen Dur- und Molltonarten musizieren zu können. Vorher waren die Tasteninstrumente mit der harmonisch „reinen“ Stimmung versehen, die das Musizieren nur in einem begrenzten Tonartrahmen ermöglichte.

Obwohl die Präludien und Fugen des ersten Teils nicht alle zur gleichen Zeit entstanden, wirkt der Zyklus wie eine Schöpfung aus einem Guss. Die Präludien sind zum Teil einfache, kadenzierende Vorspiele, andere wiederum gleichen zwei- oder dreistimmigen Inventionen. Daneben gibt es lyrisch-ariose oder virtuos-toccatenhafte. Von den Fugen sind eine zweistimmig, elf dreistimmig, zehn vierstimmig und zwei fünfstimmig. Nur eine davon, die in cis-Moll, ist als Tripelfuge mit drei Themen angelegt.

Großartige Gedächtnisleistung

Bereits 2003 und 2006 war Martin Stadtfeld gefeierter Solist bei den „Musikfreunden“. Scheinbar lässig sitzt er angelehnt auf seinem Stuhl, den Blick nur selten auf die Tasten gerichtet. Seine Finger laufen nachtwandlerisch wie von selbst, sind mit den Tasten verwachsen. Den ungeheueren zweistündigen Kraftakt übersteht Stadtfeld mühelos, nicht nur physisch, sondern auch mental mit einer schier unglaublichen Gedächtnisleistung, die nicht einmal ins Wanken gerät. Seine Bach-Auffassung ist keineswegs puritanisch, sondern eher von romantischen Interpretationsansätzen geprägt. So verzichtet er nicht auf den Gebrauch der Pedale, oktaviert gelegentlich Basseinsätze in den Fugen, um sie besser hervortreten zu lassen und zeigt differenzierte Anschlagskultur und wirkungsvolle Steigerungsdynamik. Hier auf einzelne Präludien oder Fugen einzugehen, wäre „Eulen nach Athen tragen“. Die Wiedergabe des Gesamtwerks war so lebendig und kontrastreich, dass man wie gebannt lauschte und alles andere als Langeweile aufkam. Es gab am Ende Ovationen vielfältiger Art für den meisterlichen jungen Pianisten, der sich hierfür mit einer gehaltvollen, besinnlichen Zugabe in Form des Sicilianos aus der Flötensonate Es-Dur von Bach bedankte. Es bleibt zu hoffen, dass der Drei-Jahre-Rhythmus der Auftritte von Martin Stadtfeld in Coburg beibehalten werden kann.

 
 
 

Neue Presse vom 2. Dezember 2009

GROSSARTIG DURCHS DUR-MOLL-MENÜ
Pianist Martin Stadtfeld bot bei den Musikfreunden wohltemperierte Dynamik. Mit „Bach pur“ erweckte er im Kongresshaus Stürme der Begeisterung.

VON DR. PETER MÜLLER

„Wohltemperiertes Klavier“ nannte Johann Sebastian Bach eine zweibändige Sammlung von 48 Präludien und Fugen, die die durch Werckmeister neu geschaffene Modulation zwischen allen Tonarten auf den Tasteninstrumenten in Etüden für seine Schüler vor allem in Leipzig demonstrierte. Die Nachwirkung dieser „gleichschwebenden Temperatur“ (Ausgewogenheit und Maß) zwischen 53 Stufen in einer Oktave nach der pythagoräisch mathematischen Tonberechnung des Übergangs der Tonarten, machte enharmonische Verwandlungen (zum Beispiel von Cis zu Des – für Tasteninstrumente, nicht für Saiteninstrumente) ohne disharmonische Störung des abendländischen Hörens möglich. Die Intervalle sind nicht mehr ganz sauber, aber der Hörer nimmt es kaum wahr

Bachs – seit 1722 über 20 Jahre erstelltes – Schulwerk machte bis in die Spätromantik Schule, so dass Hans von Bülow diese Sammlung von Präludien und Fugen in abwechselnden Dur- und Moll-Exerzitien als das „Alte Testament der Klavierliteratur“ bezeichnete. Nachahmer fand das Werk bis zu Hindemith (Ludus tonalis); und Kontrahenten bis zu Schönberg und Stockhausen. Die elektronische Musik arbeitet gegenwärtig an einer Weiterführung beziehungsweise Zusammenführung dieses Spiel mit Tonalität und Atonalität.

Nun könnte man meinen, 24 Präludien und Fugen des mathematischen Genies der Tonkunst Bach seien „berechenbar“. Weit gefehlt, denn man muss mit der Unberechenbarkeit des individuellen Interpreten rechnen. Martin Stadtfeld geht zwar den Weg der klassischen und höchst präzisen Darbietung; seine Körpersprache gleicht dem Vorurteil des Musikautomaten für Bach, da nur die Finger ihr wahnwitziges Spiel treiben, während der Mensch wie erstarrt und in Trance – man könnte auch sagen: ganz cool und locker – da hockt; doch das Aufbäumen des Kopfes und die Mimik bei meist introvertiert geschlossenen Augen zeigt die innere leidenschaftliche Bewegtheit. In diesen kleinen äußeren Zeichen spiegelt sich die Spannung dieses Dur-/Moll-Menüs wider, das in der einzelnen Nuance jedes wie selbstständig agierenden Fingers ebenso spannend und voller seelisch animierter Dynamik zum Klingen kommt:

Martin Stadtfelds virtuose Fingerfertigkeit und sein fein differenziertes Fingerspitzengefühl haben zum Konzert der Musikfreunde Coburg am Montag mehr – vor allem auch junge – Besucher in das Kongresshaus Rosengarten gelockt, als es für klassische Konzerte (bedauerlicherweise) zu erwarten ist. Die großen Ovationen, die man ihm am Ende seines Parforceritts für Bach (BWV 846-857) entgegenbrachte, entlockten dem in sich versunkenen Pianisten ein verschmitztes und frohes Lachen. Der Beifall spornte ihn auch zu einer ganz anders als die Etüden gearteten Bachzugabe – das „Siciliana“ – an. Vielleicht kann man ihn ja bei seinem vierten Gastspiel in Coburg mit einer Fortführung der Erfolgsgeschichte von Jacques Loussiers Jazzversion „Play Bach“ hören!?